Materialien „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“ - Globales Lernen und Philosophie lernen


Buchhinweis


Stichworte: Philosophie, Philosophiegeschichte, Jürgen Habermas, Religion und Religionsgeschichte











Bibliographische Angaben:

Jürgen Habermas: Auch eine Geschichte der Philosophie -

Band 1: Die okzidentale Konstellation von Glauben und Wissen/

Band 2: Vernünftige Freiheit. Spuren des Diskurses über Glauben und Wissen.

Suhrkamp- Verlag. Berlin 2019. 1752 Seiten.
ISBN: 978-3-518-58734-8 (Leinen)/ 978-3-518-58736-2 (kart.)





Zum Buch:












Jürgen Habermas lässt seine „Auch eine Geschichte der Philosophie“ in der von Karl Jaspers so benannten Achsenzeit (ca. 500 v. Chr.)1 beginnen. Es gab nach seiner Darstellung zunächst eine enge Verbindung von Religion und Philosophie, in der die Religion überaus dominant und bestimmend war. Religion „entwickelt“ sich (Überschriften, die diese Entwicklung andeuten: „Die Moralisierung des Heiligen und der Bruch mit dem mythischen Denken (S.312 ff)/ „Die Abkehr des jüdischen Monotheismus vom Heidentum“ (S.327 ff.)/ „Buddhas Lehre und Praxis“ (S. 361 ff.)...); die Philosophie setzt neue Akzente („Von den griechischen 'Naturphilosophen' zu Sokrates“(S. 406ff.)/ „Platons Ideelehre – im Vergleich“ (S. 434 ff.))

Habermas entwickelt in seiner „Auch Philosophiegeschichte“, wie sich die Philosophie in einem langen Prozess nach und nach aus ihrer „Symbiose“ mit der Religion löst, sich „säkularisiert“ und selbständig wird. Habermas macht in seiner Darstellung entscheidende sich entwickelnde Perspektiven, Konflikte, Prozesse des Um- und Weiterdenkens zu einem eigenen von religiösen Vorgaben unabhängigen Standpunkt von philosophischen Denken und Philosophie (und auch die damit verbundenen Transformationen in Wissenschaft, Recht, Politik und Gesellschaft) sichtbar. Dabei werden auch Impulse und Inspirationen aus der Welt der Religionen in diesem Prozess sichtbar.

Im Vorwort skizziert Habermas seinen Gedankengang im Vorwort: „In ihren Anfängen gehörte die Philosophie zu den an einer Hand abzählbaren metaphysischen und religiösen Weltbildern der Achsenzeit. Das ist ihr zum Schicksal geworden. Denn seit der Entstehung des christlichen Platonismus im römischen Kaiserreich gewinnt der Diskurs über Glauben und Wissen für die weitere Entwicklung des philosophischen Erbes der Griechen eine konstitutive Rolle. Daher dient mir dieser Diskurs als Leitfaden für die Genealogie eines nachmetaphysischen Denkens, die zeigen soll, wie sich die Philosophie – komplementär zur Ausbildung einer christlichen Dogmatik in Begriffen der Philosophie – ihrerseits wesentliche Gehalte aus religiösen Überlieferungen angeeignet und in begründungsfähiges Wissen transformiert hat. Genau dieser semantischen Osmose verdankt das an Kant und Hegel anschließende säkulare Denken das Thema vernünftiger Freiheit und die bis heute maßgebenden Grundbegriffe der praktischen Philosophie.Während die griechische Kosmologie entwurzelt worden ist, sind semantische Gehalte biblischen Ursprungs in die Grundbegriffe des nachmetaphysischen Denkens überführt worden.“ (S. 14 f.)

zum Autor: 2

Jürgen Habermas wurde am 18. Juni 1929 in Düsseldorf geboren. Von 1949 bis 1954 studierte er in Göttingen, Zürich und Bonn die Fächer Philosophie, Geschichte, Psychologie, Deutsche Literatur und Ökonomie. Er lehrte unter anderem an den Universitäten Heidelberg und Frankfurt am Main sowie der University of California in Berkeley und war Direktor des Max-Planck-Instituts zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt in Starnberg. Jürgen Habermas erhielt zahlreiche Ehrendoktorwürden und Preise, darunter den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels (2001) und den Kyoto-Preis (2004).“



Einordnung für die Bildungsarbeit



Das Konzept dieser „Auch-Philosophiegeschichte“ bietet einen wichtigen Ansatzpunkt auch für Philosophieunterricht in der Schule. Dort werden gern philosophiegeschichtliche Positionen aufgegriffen und erabreitet. Sie bleiben aber „unverbunden“ in „philosophiegeschichtlicher Absicht“ nebeneinander stehen (ohne dass auf auf eine grundlegende Aufgabe und Zielsetzung von Philosophie geschaut wird).

Der Titel des zweiten Bandes könnte hier fast als Zielformulierung genommen werden: „Vernünftige Freiheit. Spuren des Diskurses über Glauben und Wissen“. Philosophie macht sich Freiheit und „Durchsetzung von Freiheit“ zum Thema und weist dabei Gedanken biblischen Ursprungs einen Platz zu, der religionskritische Positionen nicht bestreitet aber „semantische Gehalte biblischen Ursprungs“ in nachmetaphysische Philosophie aufgenommen sieht3, wobei auch die Rede von „nachmetaphysischer Philosophie“ eine (auch kontroverse) Diskussion im Unterricht wert ist.

Ich empfehle diese „Auch Philosophiegeschichte“ zur Anschaffung für die Schulbibliothek (Schulen mit Sekundarstufe II). Sie ist anders als die in Studium und Schulen genutzten „Philosophiegeschichten“, man kann zwar einzelne Philosophen „nachschlagen“ und eine Darstellung ihrer Ansätze finden, aber immer im Blick auf die Gesamtkonzeption, die die Entwicklung des philosophischen Denkens (im Zusammenhang des Diskurses von Glauben und Wissen im Blick hat – ein Ausgangspunkt auch für „eigenes Weiterdenken“ von Lehrkräften und ihren Schülerinnen und Schülern. 








Martin Geisz, Dezember 2019



1„Der Name Achsenzeit rührt daher, dass sich Karl Jaspers das Jahr 500 v. Chr. als die „Achse“ vorgestellt hat, um die sich die Rotation der Weltgeschichte gleichsam beschleunigt, weil sich während der vergleichbar kurzen Periode zwischen ungefähr 800 und 200 vor Christus in den frühen eurasischen Hochkulturen unabhängig voneinander ähnliche Revolutionen in der Mentalität von Eliten ereignet haben. Daraus sind die 'starken' bis heute nachwirkenden religiösen und metaphysischen Weltbilder hervorgegangen.“ (S.177).

2Quelle: https://www.suhrkamp.de/autoren/juergen_habermas_1687.html (16.12.2019)

3 „Während die griechische Kosmologie entwurzelt worden ist, sind semantische Gehalte biblischen Ursprungs in die Grundbegriffe des nachmetaphysischen Denkens überführt worden.“ (S. 14 f.)