Materialien „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“ - Globales Lernen und Philosophie lernen






Buchhinweis


Stichworte: Religion, Religionskritik, Relgion und Gesellschaft







Bibliographische Angaben:



Hans Joas: Die Macht des Heiligen. Eine Alternative zur Geschichte von der Entzauberung. Suhrkamp. Berlin 2017. ISBN 978-3-518-58703-4





Zum Buch:












Umstellung im Denken: Bisher – Religion wird immer schwächer, Säkularisierungsprozesse wirken, Religion wird „entzaubert“. Ein oberflächlicher Eindruck aus Beobachtungen religiösen Alltags bei uns. Aber Für den Autor Hans Joas (Soziologe) ist dies nicht so. Von Schwächung der Religion kann für ihn im Weltmaßstab keine Rede sein.

Hinter der Säkularisierungstheorie, die die schwindende Bedeutung von Religion in unserer Gesellschaft zu erklären sucht, steckt die „Entzauberungsthese“ (von Max Weber). Diese These geht davon aus, dass bereits im Zeitalter der AT – Propheten, ein Prozess begonnen hat, der ein Vorläufer der Säkularisierung ist. Diesen Prozess in der Geschichte der Religionen stellt er infrage. „Entzauberung“ (nach Max Weber) hält er bei weitem nicht für eindeutig, Joas geht dem Begriff nach und findet verschiedene Bedeutungen in dem Begriff. Diese Bedeutungen kann man auseinandernehmen.

Er selbst formuliert zu seinem Arbeitsvorhaben in diesem Buch: Dieses Buch stellt einen Versuch dar, einen der Schlüsselbegriffe des Selbstverständnisses der Moderne zu entzaubern: den der Entzauberung. Dieser Begriff ist,wie sich zeigen wird,von einer tiefen Mehrdeutigkeit, welche auch noch den Gegenbegriffen wie Verzauberung und Wiederverzauberung anhaftet, die seit seiner Prägung zusätzlich in Umlauf geraten sind. Solche Mehrdeutigkeit kann zu Verwirrungen führen und hat in diesem Fall in der Tat vielfach zu solchen geführt. Sie kann auch, da sie ja mit dem Begriff unerkannt transportiert wird, ein Mittel zur Herstellung einer falschen Eindeutigkeit sein. Für die Geschichte von einem sich über Jahrtausende erstreckenden fortschreitenden Prozeß der Entzauberung trifft dies zu; sie kann, wenn meine Argumentation zutrifft, heute nicht einfach fortgeschrieben werden.Wir brauchen deshalb eine Alternative zu ihr oder vielleicht mehrere – neue Narrative der Religionsgeschichte in ihrer Verknüpfung mit der Geschichte der Macht, die an die Stelle des Entzauberungsnarrativs treten können.


Mit dem Namen keines anderen Denkers undWissenschaftlers ist der Begriff der Entzauberung so eng verbunden wie mit dem MaxWebers. In einem strategisch zentralen Teil dieses Buches werde ich mich mit seiner Verwendung dieses Begriffs und ihrer Problematik ausführlich und textnah auseinandersetzen. Für die Skizzierung einer Alternative genügt eine kritische Auseinandersetzung mitWeber aber keineswegs. Für sie sind neben vielfältigen empirischen Befunden auch andere denkerische Versuche der Vergangenheit als der Max Webers heranzuziehen“ (S.11).


Die Schwerpunkte der Untersuchung spiegelt die Inhaltsübersicht.




Inhaltsübersicht


Vorwort


Einleitung


1 Religionsgeschichte als Religionskritik? - David Hume und die Folgen .


2 Religiöse Erfahrung und die Lehre von den Zeichen


3 Das Ritual und das Heilige - Zur Anthropologie der Idealbildung


4 Vielfalt der Idealbildung oder Prozeß der Entzauberung?

Die Syntheseversuche von Ernst Troeltsch und Max Weber


5 Transzendenz als reflexive Sakralität

Die »Achsenzeit« als Einschnitt in der Religionsgeschichte


6 Spannungsverhältnisse

Eine neue Deutung von Max Webers »Zwischenbetrachtung«


7 Das Heilige und die Macht

Kollektive Selbstsakralisierung und ihre Überwindung


Hans Joas setzt (als Soziologe) eigene Akzente. Das Heilige ist für ihn nicht „Ergebnis von Offenbarung“ (wie in den Weltreligionen durchweg betont), sondern „ergibt“ sich aus menschlicher Erfahrung, wenn z.B. im Erleben und Erfahrung von Verlieben und Liebe die „Grenzen des Menschen“ überschritten werden. Diese Erfahrung wird von Menschen festgehalten und auch im Begriff des „Heiligen“ „aufbewahrt“.


Dieses Heilige steht in Beziehung zu Macht. Die Erfahrungen mit der Motivationskraft – Erfahrungen, die Menschen „über sich hinaus gebracht haben“ kommen in Verbindung zu politischer und ökonomischer Macht Verbindung bringen (so formuliert die Überschrift des letzten Buchkapitels „Das Heilige und die Macht - kollektive Selbstsakralisierung und ihre Überwindung“).


Joas spricht nicht von der Wiederkehr der Religionen, sondern von der „Wiederkehr eines Aufmerksamkeitsspektrums“. Dass vor allem Großstädte sich weitgehend säkularisieren würden, wie von Soziologen vorhergesagt, trifft fürs Gros der "heutigen Metropolen gerade nicht zu.1


> Gespräch mit Hans Joas: http://www.ardmediathek.de/radio/Tag-f%C3%BCr-Tag-Beitr%C3%A4ge/Hans-Joas-Die-Macht-des-Heiligen/Deutschlandfunk/Audio-Podcast?bcastId=21601786&documentId=47050370 

Besprechung der Buches in DIE ZEIT: http://www.zeit.de/2017/41/die-macht-des-heiligen-hans-joas-theorie-max-weber (Aufruf: 13.12.2017)






Einordnung für die Bildungsarbeit



Religion und Religionskritik gehört unbedingt in die Bemühungen Globalen Lernena – mit Sicherheit im Religions-, Philosophie- und Ethikunterricht aber auch in den Bemühungen um politische Bildung. In diesem Buch setzt Hans Joas setzt als Soziologe Akzente über die gewohnten Zugänge „Religionskritik“ und „dogmatisch – theologische Grundlagen“ von Religion hinaus. Er formuliert eines der Ergebnisse seines Buches so: „Die Diskussionen über Religion sind – so habe ich in meinem Buch Glaube als Option3 argumentiert – heute davon gekennzeichnet, daß zwei Pseudogewißheiten, die im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert größten Einfluß hatten, beide ihre Glaubwürdigkeit verloren haben. Gläubige können nicht länger davor warnen, daß Säkularisierungsprozesse zum Verlust aller Moral führten, weil die Wirklichkeit stark säkularisierter Gesellschaften diese Befürchtungen nicht bestätigt hat. Nichtgläubige können ihren Abstand von aller Religion nicht länger als avantgardistischen Schritt in eine Zukunft, auf die die Menschheitsgeschichte von sich aus hinstrebt, interpretieren. Wenn meine Diagnose zutrifft, dann öffnen sich damit neue Dialogmöglichkeiten zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen, aber auch ganz neue Fragestellungen“ (S. 20). Hier könnte Auch Bildungsarbeit einen Zugang öffnen. Das Buch bietet für Studierende, Lehrkräfte und fortgeschrittene Schülerinnen und Schüler in den entsprechenden Leistungskursen der Sekundarstufe II vielfältige Zugänge und Anlässe für vertiefende und erweiternde Diskussionen.2




Martin Geisz, Dezember 2017



1Christentum prägt USA und Südkorea (zwei Staaten, die nicht den „Säkularisierungsweg“ gegangen sind). „Säkulare Großstädte“ gibt es in den Usa und den neuen Großstädten der Welt nicht, Religion bleibt hier von Bedeutung.

2Ein Beispiel aus einer Rezension zum Buch: „Was gewinnt man, wenn man die Entzauberungsthese entzaubert? Für Joas gewinnt man einen anderen Blick auf Religion und Moderne: Man darf getrost Abschied nehmen von der Vorstellung, die Menschheit eile mit linearer Notwendigkeit einer homogenen religionslosen Zukunft entgegen. Wer Webers "gefährlichen Prozessbegriff" preisgebe, für den sei die Geschichte wieder offen. Plötzlich, so Joas, erkenne man ganz andere Dynamiken, man sehe Ambivalenzen und Abgründe, vor allem den jederzeit möglichen Umschlag von Entzauberung in Wiederverzauberung, also die reaktionäre Indienstnahme der Religion für machtpolitische Zwecke.“ ( Thomas Assheuer : "Die Macht des Heiligen". In DIE ZEIT ( http://www.zeit.de/2017/41/die-macht-des-heiligen-hans-joas-theorie-max-weber